Portugals Weinkunst wächst auf traditionsbewusstem Boden

Mit dem Auto reisend gelangen mitteleuropäische Spurensucher in etwa drei Tagen zum südwestlichen Teil der Iberischen Halbinsel. Einmalige Landschaftsreize und gastfreundliche Einheimische locken nach Portugal. Das vom Atlantik und Spanien umschlossene Land beeindruckt mit seiner wechselhaften Geschichte der Eroberungen und Umbrüche, die es bis heute begleitet. Auf faszinierende Weise umgibt alles Moderne ein spürbarer Hauch von Tradition. Andere kehren der Vergangenheit den Rücken zu, um etwas Neues zu beginnen. Auch die Portugiesen sind Neuem zugewandt, doch sie bewahren dabei ganz natürlich einen Teil ihrer Identität – ihre Vergangenheit. Das ist gut so, wie die von den historischen portugiesischen Wurzeln bewegte Weinwelt beweist. Der Einfluss des Weitergebens ist so stark, dass noch immer ein wahrer Schatz heimischer Rebsorten gepflegt wird.

Massenweine und echte Visionen

Kaum eine Region Portugals gleicht hinsichtlich des Gesteins, der Höhenlage und des Wetters einer anderen. In jeder Himmelsrichtung liegen Gebiete, in denen die edlen Reben hervorragend, manchmal sogar herausragend, gedeihen. Das führt zu einem weiteren interessanten Punkt: Das sehr begrenzte Gebiet schafft es trotz flächenmäßigem Nachteil unter die zehn größten Weinexporteure der Welt (Stand 2010). Dabei arbeiten Portugals Quintas mit wenig Erträgen. Dank besonderer Fürsorge erreichen portugiesische Reben ein vergleichsweise hohes Alter. Das Resultat sind tiefe Wurzeln, die die Standortbedingungen in einer erlesenen Ernte charakteristisch hervortreten lassen.

Viel junger Wein entsteht im grünen Norden Portugals. Als frischer, leichter Genuss begeistert vor allem der weiße Vinho Verde internationale Gaumen. Aufmerksamkeit erregt unter anderem das Gebiet um Minho und Porto. Neben anderen werden hier die Sorten Alvarinho und Arinto mit Erfahrung und Fingerspitzengefühl zu bemerkenswerten Geschmackserlebnissen ausgebaut. Die faszinierende Reise durch die portugiesische Geschmackslandschaft endet nicht mit einem Besuch im Norden. Entlang der Küste und Flussufer, aber auch im Landesinnern prägen Weinliebhaber einzelne Nuancen des heimischen Sortenreichtums. So schätzen Winzer der Region Douro die roten Reben Tinta Roriz, Touriga Nacional und Touriga Franca trotz oder gerade wegen ihrer Eignung für den hier beheimateten Portwein. Kräftige, aromatische und tanninhaltige Weine resultieren aus ihren Bemühungen.

Beide Regionen gehören den 31 DOC-Gebieten an (Denominação de Origem Controlada, ähnlich DOP). Sie bilden die qualitative Hierarchiespitze des streng geregelten Weinanbaus. Jedes, der fest begrenzten Gebiete, prägt eine eigene Weinlandschaft, nicht zuletzt durch Sortenregelungen. Vinho Regional (mittlerweile auch IG/IGP, was auf die geografische Indikation hinweist) entsteht in 14 Gebieten unter flexibleren Bedingungen. Einige Winzer verzichten bewusst auf die Bezeichnung DOC, um ihrem Gespür folgend charaktervolle Sortenkombinationen zu ermöglichen.

Doch längst nicht jeder portugiesische Rebensaft verheißt einzigartige Sinneserlebnisse. Oft zählt die Masse: Eine Menge technisch produzierten Weins sichert (teilweise im Nebenerwerb) das Auskommen portugiesischer Familien. Solche Weine gelten qualitativ als Vinho de Mesa, typischerweise Tafelweine, die keinem Kontrollsystem unterliegen.

Von Romantik und weiblicher Schaffenskraft

Lange schon übernehmen Frauen im Weinbau andere Aufgaben, als mit den Füßen in Erntefässern zu waten. Diesen Teil der Tradition geben sie ab. Modernste Technik übernimmt nun romantisch anmutende Arbeiten, die durch gezielte Investitionen den Wirtschaftszweig verjüngt. Die Zukunft der zahlreichen, teils einzigartigen, heimischen Rebsorten liegt dennoch zunehmend in weiblichen Händen.

Das neue Kapitel der Weintradition kommt nicht ohne zeitgemäßes Wissen aus, ebenso wenig ohne feminines Empfinden, das zweifellos vom männlichen abweicht. Typisch portugiesisch interessieren sich die ambitionierten Önologinnen für nichts anderes als ihren einmaligen, heimischen Rebenschatz. Es sind die eleganten Facetten, die vollmundigen und weichen, die fruchtigen und zarten Seiten, die Weinmacherinnen wie Susana Estéban, Filipa Pato, Dorina Lindemann und Sandra Tavares da Silva erspüren und sorgfältig ausbauen. Ihre Weinkunst belebt die Branche. Gleichermaßen definiert die neue Generation Rebenromantik neu – auf der Suche nach verborgenen Feinheiten.

Zum Glück richtet sich die portugiesische Weinkunst nicht nur an Landsleute. Etwas südländische Lebensart ist deutlich weiter im Nordosten nachspürbar, ohne mehrere Tage auf der Straße zu verbringen. Portugiesisch genießen heißt auch, sich gemeinsam Zeit zu nehmen. Schließlich steckt in jeder Flasche eine Vision, umgesetzt in einer unverwechselbaren, landestypischen Komposition.

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